Empirische Literaturwissenschaft meets m*w
Team m*w war mal wieder on Tour. Dieses Mal haben wir einen Ausflug ins süditalienische Monopoli gemacht, um unsere Arbeit einer Gruppe empirisch arbeitender Literaturwissenschaftler*innen, der IGEL-Society, vorzustellen. Bei exquisitem Kaffee und luftigem veganen Kuchen (na gut, das ein oder andere Gelato war natürlich auch dabei) haben wir über Genderdarstellungen und Figurenprofile diskutiert. In diesem Rahmen konnten wir auch erstmals einige Ergebnisse unserer Forschung am DisKo+-Beauvoir-Korpus vorstellen.
Simone de Beauvoir hat im zweiten Teil ihres Textes Das andere Geschlecht (1949) über 100 literarische Texte beispielhaft zitiert, um eine Reihe von Genderrollen zu charakterisieren. Ergänzend zu den Eigenschaften aus ihrer Interpretation dieser Texte beschreibt sie Ansätze zu Gegenentwürfen herkömmlicher Genderkategorien. Was passiert aber, wenn man eine Auswahl dieser Texte in einem standardisierten Verfahren mit digitalen Methoden systematisch nach Genderrollen und Figurencharakterisierungen untersucht? Dieser Frage gehen wir seit einiger Zeit in unserem m*w-Projekt nach. Nun haben wir erste Ergebnisse, die zeigen, dass
- aus den Charakterprofilen der unterstuchten Figuren unterschiedliche soziale Setups abgeleitet werden können,
- vor allem in den Texten des 19. Jahrhunderts und der Zeit davor Figuren dominieren, die überwiegend mit männlichen Rollen charakterisiert werden,
- in einzelnen Ausnahmen Charaktere auftauchen, die in nahezu ausgewogener Weise mit weiblichen, neutralen und männlichen Rollen charakterisiert werden (diese Charaktere brechen die herkömmlichen binären Gendergrenzen), eine solche Ausnahme konnten wir bereits in einem Text des 19. Jahrhunderts, also relativ früh, nachweisen.
- Die Gendersphäre, die in unserem Korpus insgesamt entworfen wird, ist skalar, d.h. sie hat einen weiblichen und einen männlichen Pol und eine neutrale Zone im Zentrum. Figuren, die die Gendergrenzen überschreiten, befinden sich an den Rändern der Sphäre.
Natürlich haben unsere Studien nicht nur erste Fragen beantwortet, sondern auch neue aufgeworfen. Unsere Daten zeigen z.B., dass es gar nicht unüblich ist, eine Figur, die überwiegend mit Rollen einer Genderkategorie charakterisiert wird, auch einmal mit einer Rolle zu beschreiben, die zu einem anderen Gender gehört. Ein prominentes Beispiel für eine solche Konstellation ist z.B. die Selbstbezeichnung von Hagrid in Harry Potter 2 als “Mami” des Drachenjungen Norbert. Aber wo fängt eine ungewöhnliche Genderdarstellung an, die die (vermeintlich?) seit Jahrhunderten etablierten Grenzen zwischen Genderrollen überschreitet oder in Frage stellt?
Wenn du mehr über unsere Studie erfahren möchtest, gelangst du hier zur Youtube-Version unseres Vortrags:
Video:
Und zum Nachlesen findest du hier unser Abstract